Umrundung Moskenesöya


01. — 04. Juli 2024

Nachdem wir einen weiteren Tag mit Windstärke sieben und waagerechtem Regen auf dem Campingplatz abgewettert haben, verbringen wir den folgenden damit, uns nach Fredvang vorzuarbeiten. Bei der Fahrt dorthin können wir gut beobachten, was die Tidenströmung an den Engstellen der Sunde in Zusammenarbeit mit unguten Winden für ein grandioses Chaos verursacht. Da will man lieber nicht mit dem Kayak auf dem Wasser sein!

Gegen Abend bessert sich das Wetter aber durchgreifend, und es soll die nächsten fünf Tage stabil bleiben. Wir treffen auf dem Zeltplatz Matt Skuse von Norwegian Sea Kayaking. Er will genau wie wir morgen zur Umrundung von Moskenesöya aufbrechen. Er will eine Gruppe von sechs Kayakern um die Insel führen, von denen aber nur vier kommen werden. Von ihm erhalten wir noch viele ungemein wertvolle Tipps, denn er hat diese Tour schon etwa ein Dutzend Mal gemacht.

Hier haben wir mehr Erfolg mit unserem Ansinnen, unseren Bus für die Zeit unserer Tour auf dem Platz stehen zu lassen. Zuerst will man uns auch hier die volle Gebühr abverlangen, lässt sich dann aber auf 150 NKR pro Nacht runterhandeln. Damit haben wir eine große Sorge weniger, denn die Parkmöglichkeiten sind doch arg eingeschränkt.

Wie immer zur Mittagszeit sind wir mit Vorbereitungen und Packen fertig und stechen aufgeregt in See. Es dauert nicht lange, bis wir Bergneset, die Nordwestspitze der Insel, umrunden und die gesamte Kette der Gipfel von Moskenesöya vor uns liegt. Es geht gleich ein merklicher Schwell von gut einem halben Meter, obwohl praktisch Flaute herrscht. Die Felswände zu unserer Linken gehen senkrecht 500 Meter in die Höhe — man muss seinen Kopf erheblich verrenken, wenn man ihr oberes Ende sehen will.

Es herrschen phantastische Bedingungen — trotzdem kann man hier deutlich spüren, dass gerade dieser erste Teil bis Bergneset der anspruchsvollste der gesamten Westküste ist. Die senkrechten Wände lassen jede Idee, hier landen zu wollen, an sich abprallen und produzieren unter ungünstigeren Verhältnissen sofort chaotische Reflexionswellen und fiese Fallwinde, die einem das Leben schwer machen können.

Direkt danach fällt die Küstenlinie zurück und gibt den Blick auf den Strand von Kvalvika frei. Die Bucht ist nach Westen hin sehr offen und der Untergrund ist so beschaffen, dass hier immer Surf entsteht. Matt sagt: ein halber Meter Schwell kann einen Meter Surf hervorrufen. Aber je nach Windrichtung sei einer der beiden Teilstrände eigentlich immer etwas harmloser als der andere.

Neben Kvalvika hat die Küste hier noch die großen Strände Horseid und Bunes mit sehr guten Anlande- und Zeltmöglichkeiten zu bieten. Aber dazwischen sind lange Abschnitte, an denen ein Anlanden quasi unmöglich ist. Bunes ist der letzte Strand, von dem aus man zu Fuß über die Berge auf die andere Seite in die Zivilisation wechseln kann. Südlich davon gibt es auch auf der Ostseite der Insel keine Zivilisation mehr.

Wir machen Pause am Strand von Bunes. Die südwestliche Seite des Strandes ist auch bei schlechterem Wetter relativ gut geschützt und ideal zum Anlanden. Der Strand ist riesig und erstreckt sich tief ins Inselinnere. Er ist durchsetzt von merkwürdigen grünen Hügeln. Es gibt einige Spaziergänger hier — weil eben ein Wanderweg von der anderen Inselseite hierher führt.

Wir hatten überlegt, hier unser Lager aufzuschlagen, aber es ist noch früh am Tag und wir haben uns noch nicht wirklich angestrengt, so dass wir beschließen, noch weiter zu fahren. Allerdings sind ab hier die in Frage kommenden Übernachtungsplätze nicht mehr so dicht gesät. Der nächste ernst zu nehmende ist eigentlich Refsvika und das ist ca. 20 Kilometer entfernt. 

Bei der Einfahrt nach Refsvika begrüßt uns ein Seeadler, der sich gerade auf einem Fels sein Sushi zurecht gelegt hat. Direkt davor tummeln sich zwei Fischotter im Wasser. Ob das Zufall ist, oder sie darauf hoffen, etwas vom Fisch abzubekommen, wissen wir nicht. Das Wasser vor Refsvika ist durchsetzt mit einer Unmenge von Schären und Felsen, die nur knapp unter oder über der Wasseroberfläche liegen, so dass man hier bei mehr Schwell sehr bedacht manövrieren muss.

An Land gehen wir eine ganze Weile auf und ab auf der Suche nach geeignetem Untergrund für unsere Zelte. Ehrlich gesagt, gibt es hier so etwas nicht. Direkt hinter der Sandzone im verführerisch aussehenden grünen Bewuchs sind so viele Steine und Felsen eingebettet, dass man sein Zelt kaum aufstellen kann. Wir bleiben trotzdem hier.

Am nächsten Tag hält das günstige Wetter weiter an. Wir wollen Lofotodden passieren, die südlichste Spitze von Moskenesöya — da kommt uns das sehr gelegen. Sehr bald wird die Sicht auf Mosken und Väröy im Süden frei. Ich hatte während der Vorbereitung davon geträumt und sehr gehofft, dass wir die Überfahrt über den Moskenstraumen dorthin würden machen können. Die Windbedingungen wären auch ideal dafür, aber das Timing mit der Tide stimmt leider überhaupt nicht. Außerdem würde uns der Umweg mindestens zwei, eher drei Tage kosten und so ziehen wir ihn gar nicht erst in Betracht.

Wir erkunden noch die Bucht Buvaagen, wo jede Menge Ankerbojen für Segelboote installiert sind. Hier gibt es zwar keinen Sandstrand aber vermutlich bessere Zeltmöglichkeiten als in Refsvika. Man kann sich hier wunderbar durch die Inseln und Schären schlängeln und so unruhiges Wasser vermeiden, das sich hier am Rande des Moskenstraumen häufig bildet. Heute ist davon nichts zu merken, wir müssen noch bis zum Indretuven fahren, der nächsten Landspitze nach dem Leuchtturm Yttertuven, um hier auf ein niedliches Tiderace zu treffen. Hier sehen wir den ersten und einzigen Papageientaucher, den wir auf  unserer Tour zu Gesicht bekommen. Von dort bis Aanstad, wo wir für die Nacht bleiben wollen, ist es nicht weit.

Aanstad bietet eine alte Hafenanlage, die sich gut zum Anlanden eignet. Leider sind auch hier die waagerechten Flächen zum Zeltaufbau rar gesät. Aber man arrangiert sich.

Am nächsten Tag füllen wir noch kurz unsere Wasservorräte auf an einem Bach, der aus dem Aanstadvatnet fließt. Drei Buchten weiter beginnt schießlich die Zivilisation wieder, die sich durch vermehrten Motorbootverkehr bemerkbar macht. Auf den vorgelagerten Felsen stehen überall Angler und direkt vor Sörvaagen sehe ich große Fischschwärme im Wasser. Also müssen wir unsere Angel hier zum Einsatz bringen. Immer wenn wir unseren Blinker irgendwo ins Wasser schmeißen, brodelt die Wasseroberfläche, weil sich der ganze Schwarm erschreckt und ruckartig davon macht. Der Erfolg unseres Bemühens bleibt bescheiden.

Während ich noch meine Fotoausrüstung zurechtrücke, ruft Jörg "Orcas!". Ich blicke in die von ihm angezeigte Richtung, aber da ist verdächtig lange nichts zu sehen. Man meint ja immer mal dies oder das gesehen zu haben — und am Ende war es dann doch nur ein Wellenreflex. Aber die Finne eines Orcas kann man eigentlich mit nichts verwechseln. Es dauert noch eine ganze Weile, aber dann tauchen plötzlich eine ganze Reihe von Finnen auf, die direkt auf uns zuschwimmen. Es ist eine Familie mit einem besonders großen Bullen (ich nehme mal an, dass es ein Bulle ist, auch wenn ich außer der Größe sonst kein Indiz dafür habe) und einem "kleinen" Kalb. Sie tun sich an den Fischschwärmen gütlich, schwimmen im Zick und Zack um uns herum, springen immer wieder fast komplett aus dem Wasser und man kann sehen, dass es ihnen Spaß macht. Es scheint, als erteilten sie dem Kalb eine Lektion in Jagdtechnik. Ein beeindruckendes Schauspiel!

Bei Reine begegnen wir das erste Mal einer Gruppe Kayakfahrern. Sie sind Teil einer organiserten Reise und unternehmen abwechselnd Paddel- und Wandertouren. Nur der Reiseleiter ist im Einer unterwegs. Wir passieren unter der Straßenbrücke hindurch in die geschützten Fjorde hinter der Stadt bis zum Flövatnet. Etwas den Hang hinauf findet man reichlich geeignete Plätze, sein Zelt aufzuschlagen.

Die letzte Etappe zurück zum Campingplatz ist unspektakulär. Wir waren uns nicht sicher, wie stark die Strömung in den Engstellen vor allem des Sundstraumen sein würden. "Straum" deutet ja schon immer an, dass hier was strömt. Tatsächlich strömt es uns dort auch entgegen, aber es macht keine Mühe voranzukommen. Was allerdings bemerkenswert ist, ist die Tatsache, dass es nur wenige Kilometer weiter nördlich mit uns strömt. Irgendwo in der Mitte muss also so etwas wie eine kräftige unterirdische Quelle liegen, die beide Abflüsse bedient 😉.

Nach vier Tagen erreichen wir dann den Zeltplatz Fredvang, wo unser Auto auf uns wartet. Die Gruppe um Matt hat es etwas gemütlicher angegangen und trifft einen Tag später ein.

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